Das Motto
»ach«
»Ach, das Theater! - - - « seufzt die Filmschauspielerin Jessica Tandy sehnsüchtig in William Ward Murtas Musical The Birds of Alfred Hitchcock, uraufgeführt in Bielefeld im September 2010.
Genau, das Theater.
Die Bühne war von jeher ein wahres Eldorado für dieses unscheinbare Wort: ach. Im ersten Teil von Goethes Faust kommt es nach dem berühmten »Habe nun, ach! …« den Figuren gleich 27-mal über die Lippen. Zwischen Mozarts Zauberflöte – etwa Paminas »Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden« – bis zu Tristans Seufzer »Ach, Isolde, süße Holde!« durchqueren etliche achs die Libretti des deutschsprachigen Musiktheaters. Und Heinrich von Kleist gilt als Meister des achs, wenn er seine Penthesilea oder Alkmene in mannigfaltigen Schattierungen dieses Wort benutzen lässt und der Nachwelt damit jedes Mal ein Rätsel aufgibt, wie diese drei Buchstaben zu interpretieren sind. Ein kleiner verbaler Alleskönner, dieses ach. Ob klagend oder ironisch, leichtfüßig oder pathetisch, gehaucht oder gebrüllt – jede Anwandlung scheint ihm gut zu Gesicht zu stehen, und in beinahe jedem Kontext weiß es ein anderes, neues Quäntchen Subtext auszustrahlen. Schmerz, Mitleid, Bedauern, Verwunderung, Staunen, Sarkasmus, Fassungslosigkeit, Unmut, Verlangen, Verstehen – in diesen drei Buchstaben steckt eine ganze Palette menschlichen Empfindens und damit ein großes Geheimnis, das viel mit dem Menschsein an sich zu tun hat. So ist das ach viel mehr an das Fühlen und Erleben angebunden als an das Denken: Ausdruck für etwas, das sich kaum ausdrücken lässt – in Sprache gefasste Sprachlosigkeit. Etwas Ungesagtes wohnt in diesem Wort, etwas Unsagbares, und genau dieses Unsagbare wird auf der Bühne erfahrbar.
Deshalb hat sich das Theater Bielefeld für die Spielzeit 2023/24 dieses sinnreiche Wort auf die Fahnen geschrieben. ach, das ist ein Grenzgänger zwischen gedachter Sprache und körperlicher Regung: Ist es überhaupt ein Wort, oder vielmehr ein Laut, ein Seufzen – vor Schmerz oder vor Glück? Für uns stellt dieses ach in der kommenden Spielzeit die Frage: Wie wollen wir der Welt begegnen? Mit Klagen: ach je!, mit Lakonie: ach was, oder mit Staunen: ach wie schön!